Wirkungsgeschichte

7 Bände der »Werke Klopstocks«, 1809, im Quedlinburger Klopstockhaus © Städtische Museen Quedlinburg
»Klopstocks Werke«, Siebenter Band, 1809 © Städtische Museen Quedlinburg
Klopstock-Ausgaben im Quedlinburger Klopstockhaus © Städtische Museen Quedlinburg
Klopstock: Kleine Prosaschriften

Die Geschichte der Klopstock-, vor allem der „Messias“-Lektüren im 18. Jahrhundert war auch eine Geschichte von Kuriositäten und Peinlichkeiten. Lessing überfiel feierliches Gähnen; Karl Philipp Moritz ließ seine (autobiografisch geprägte) Romanfigur Anton Reiser während der Lesung des „Messias“ unter einer entsetzlichen, beklemmenden „Leerheit der Seele“ leiden. Goethes Mutter dagegen ging mit Freundinnen, zu denen auch Susanna Katharina von Klettenberg gehörte, zu Ostern in Klausur, um den „Messias" andächtig zu meditieren. Enthusiasten verehrten Klopstocks Mutter als heilige Frau und feierten mit dem Tod Christi und dem Beginn der „Messias“-Niederschrift die zwei bedeutendsten Tage in der Geschichte der Christenheit, und schließlich äußerte ein damaliger Fan, dass die Christen Klopstock anzubeten hätten, wenn es nicht Christus gäbe.

Wirkungsgeschichtlich bemerkenswert ist, dass neben historischen auch gedichtete Klopstock-Lektüren stehen: Goethes Lotte und Werther (1774) brechen bei Nennung des heiligen Namens – und in Gedanken an dessen Oden-Dichtung - in Tränen aus. Therese und Kronhelm aus Johann Martin Millers erfolgreichem Klosterroman „Siegwart“ (1776) sind in Werthers Tränenfahrwasser und beweinen den vor ihnen aufgeschlagenen „Messias“. Im Blick der ergriffenen Leserinnen und Leser geriet die Grenze zwischen Gegenstand, Buch und Autor mitunter ins Schwimmen.

Klopstock wurde durchaus als eine Art Messias, als ein Gesandter und Erlöser, erlebt und gefeiert. Die Faszination und gemeinschaftsbildende Kraft, die Person und Werk schon unter der (dichtenden) Jugend des 18. Jahrhunderts, namentlich bei den Mitgliedern vom Göttinger Hain, entfalteten, stimmt in ihrer Maßlosigkeit bedenklich.

Klopstocks Vorbildhaftigkeit erstreckte sich auch auf die Selbstinszenierung mit seiner Braut und späteren Ehefrau Meta in ihren 1759 veröffentlichten Briefen. Wie sie sich schreibend liebten, wurde für Johann Gottfried Herder und seine Verlobte Caroline Flachsland zur Blaupause ihres eigenen verschriftlichten Liebeslebens.

Eine weitere wirkmächtige Rezeption sind die zeitgenössischen Übersetzungen der Oden, vor allem aber des „Messias“ u.a. ins Französische, ins Spanische, Englische, Italienische, Ungarische Dänische, Holländische und Russische sowie 1838 ins Isländische.

Entscheidend für die nachhaltige Breitenwirkung und die Verankerung im kulturellen Gedächtnis waren seit Mitte des 18. Jahrhunderts bis in das frühe 20. Jahrhundert zahlreiche Vertonungen von Klopstocks Dichtung (Carl Philipp Emanuel Bach, Gluck, Reichardt, Schubert, Richard Strauß Mahler).

Goethe wie auch Herder und Schiller sowie die Schlegel-Brüder August Wilhelm und Friedrich ließen sich – zumal aus persönlicher Bekanntschaft – in ihren Jugendjahren von Klopstocks Dynamisierung und Rhythmisierung einer vom Sprechen her konzipierten, eingreifenden Dichtung beeindrucken. Novalis in Jünglingsjahren versuchte sich von Klopstock inspiriert an einem eigenen Messias. In besonderem Maße beeindruckt zeigte sich Friedrich Hölderlin, der Klopstocks begeistertes Interesse an der Antike und antiker Dichtung, allem voran am hymnischen Ton der Oden, geteilt hat.

Wenn Klopstock zu Recht als Schule machender Dichter der Empfindsamkeit bestimmt wird, beruht diese Wertschätzung auf seiner Kunst des präzisen Ausdrucks kontrollierter Gefühle.

Heinrich Heine allerdings hat für Klopstock nicht viel mehr als Hohn und Spott übriggehabt: für den hohen Ton, für das heilige Gerede, für die durch die Mühle der Oden gedrehten Gefühle.

Aus dem umfangreichen und gattungsvielfältigen Werk Klopstocks haben die Dramen und die Abhandlungen und Traktate kaum Resonanz gefunden, abgesehen von Arno Schmidts Bezugnahme auf Klopstocks „Gelehrtenrepublik“. Wiederum ging es Peter Rühmkorf um die Wiederentdeckung des ganzen Klopstock (Person, Autor und Werk) in seinem Buch „Walther von der Vogelweide, Klopstock und ich“.

Es war weniger der „Messias“, es waren und sind die Oden und der hohe Ton, die den Weg in die Moderne bis hinein in die zeitgenössische Poesie gefunden haben: in Friedrich Nietzsches „Dionysus-Dithyramben“, in Stefan Georges priesterliche Spruchdichtung und Rilkes „Duineser Elegien“. Auch Josef Weinheber, Rudolf Alexander Schröder, Georg Trakl, Bertolt Brecht, Johannes Bobrowski, Ingeborg Bachmann, Erich Arendt, Ernst Meister, Paul Celan, Heinz Czechowski, Volker Braun – sie haben entweder Klopstock, die Person und den Dichter, ausdrücklich oder versteckt thematisiert, sich auf die Odenform, die befreite Rhythmik, die souveräne Handhabung des ausschwingenden Hexameters bezogen, oder für Klopstock wichtige werkbestimmende Themen und Motive in jeweils autoren- und zeitspezifischer Brechung genutzt und bespielt – bis hin zu Georg Christoph Rohrbach in seinem Gedichtbändchen 0. von 2016.

An seinem literarischen Elan, am poetischen Schwung seiner freien Rhythmen, an seinen fließenden Hexametern und der Kühnheit seiner Wortfindungen orientierten sich nicht wenige der kommenden Großen bis hinein in die moderne und die zeitgenössische Literatur, vor allem auf die Lyrik.

Zur ‚abgelegenen‘ Wirkungsgeschichte gehört der am 12. September 1991 an der Thüringer Landesternwarte Tautenburg von dem Astronomen Freimut Börngen entdeckte Asteroid (9344) der in einer mittleren Entfernung von 355 Millionen Kilometern von der Sonne über unseren Häuptern kreist und der den Namen „Klopstock“ erhielt. Ferner zählt dazu der weißbärtige Klopstock aus dem Verzeichnis galaktischer Helden, „ The Legend of the Galactic Heroes Guide“ , der dort auf einer „ Klopstock Incident“ genannten Seite sein Unwesen treibt.